26 Sep Im Interview mit Barbara Josef: Wenn das Ergebnis und nicht die Präsenz zählt
Flexible Arbeitsformen, orts- und zeitunabhängiges Arbeiten oder eben «Smart Work» stellen ein Kernthema der digitalen Transformation in Unternehmen dar. Als Mitbegründerin der «Home Office Day»-Initiative hat Barbara Josef, Co-Founder der 5to9 AG, das Thema in der Schweiz von Anfang an mitgeprägt. Im Interview verrät Sie uns, was sich in Wirtschaft und Gesellschaft seit der Lancierung der Initiative 2009 geändert hat, welchen Mehrwert flexible Modelle für Unternehmen und Mitarbeitende effektiv leisten können, aber auch welche Fähigkeiten Führungskräfte und Mitarbeitende für ein erfolgreiches Miteinander in der neuen kollaborativen Arbeitswelt benötigen.
(Interview von Tanja Regli)
passion4IT: Barbara Josef, meine erste Frage liegt auf der Hand: Du bist Co-Gründerin der 5to9 AG. Ist das traditionelle „nine-to-five“ ein Auslaufmodell?
Barbara: Nein überhaupt nicht – flexible Arbeitsformen sind als Angebot zu verstehen und nicht als Zwang. Im Wesentlichen geht es darum, eine Kultur zu schaffen, die von einer hohen Autonomie und Eigenverantwortung geprägt ist. Autonomie heisst gleichzeitig auch, eine hohe Diversität an Arbeitsstilen zuzulassen, bzw. zu fördern.
Du warst bereits im Jahr 2009 Mitbegründerin der Home Office Day Initiative. Seither sind acht Jahre vergangen. Wie haben sich Unternehmen, Mitarbeitende und Gesellschaft seither gewandelt?
Heute haben rund 25% der Erwerbstätigen in der Schweiz die Möglichkeit, orts- und zeitunabhängig zu arbeiten. Diese Zahl wird weiter ansteigen. Wenn wir das Thema Flexibilisierung der Arbeitswelt umfassender betrachten, geht es aber um weit mehr als Home Office.
Konkret:
- zeitliche Flexibilität (Autonomie punkto Arbeitszeit)
- räumliche Flexibilität (Autonomie punkto Arbeitsort)
- strukturelle Flexibilität (neue Organisationsstrukturen)
- vertragliche Flexibilität (neue Anstellungs- und Auftragsverhältnisse)
Hier stehen wir erst ganz am Anfang der Transformation, Stichwort Freelance & Gig Economy. Das Thema «Home Office» bleibt dennoch interessant; als eine Art von Lackmustest, der aufzeigt, ob Organisationen bereits nach einem neuen Verständnis – Messung von Output statt Präsenz – führen. Und es sind neue Formen dazugekommen, über die wir 2009 noch kaum gesprochen haben: zum Beispiel «Coworking». Coworking ist aus Unternehmenssicht insbesondere spannend was das Innnovationsmanagement betrifft. Zum einen erhoffen sich viele aus der Nähe zu den Startups und Freelancern eine Steigerung der eigenen Innovationsfähigkeit. Zum andern ist für in die Jahre gekommene Grossfirmen der mögliche «Kultur-Spillover» spannend, wenn sie enger mit Startups zusammenarbeiten.
Was treibt denn, nach deinen Erfahrungen, Schweizer Unternehmen heute effektiv an, sich mit dem Thema „Smart Work“ und flexiblen Arbeitsmodellen auseinandersetzen? Sind neue Arbeitswelten mit Shared Desk und «Bring-your-own» nicht einfach nur verkappte Sparmassnahmen im schönen Kleid?
Die Auslöser von Veränderungen sind sehr unterschiedlich und reichen von der Einführung von neuen Technologien, dem Umzug in ein neues Bürogebäude, der Realisierung von Sparmassnahmen bis hin zur gezielten Förderung von Innovation. Für mich schliessen sich das Realisieren von Sparmassnahmen und die Verbesserung der Zusammenarbeit nicht aus – wichtig ist einfach, dass man zum einen ehrlich und transparent über die Auslöser und Ziele informiert und zum andern die Mitarbeiter wo immer möglich aktiv einbezieht in die Gestaltung der Veränderung. Widerstand bei den Mitarbeitern entsteht oft gar nicht aufgrund der Veränderung selber, sondern aufgrund der ungeschickten Change Management Massnahmen und der mangelnden Transparenz.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Einführung von smarten, kollaborativen Arbeitswelten? Und kommunizieren und arbeiten wir bald nur noch im virtuellen Raum?
Neue Technologien ermöglichen neue Formen der Zusammenarbeit. Im Wesentlichen geht es dabei um zwei wesentliche Veränderungen: Von fix zu mobil und von individueller zu sozialer Produktivität und Kollaboration. Die Frage, ob wir physische Begegnungen durch virtuelle ersetzen werden, ist nicht zielführend. Viel spannender ist es zu fragen, welche neuen Szenarien moderne Technologien ermöglichen. Was den idealen Mix der Zusammenarbeit betrifft gibt es kein richtig und falsch – es gilt viel mehr zu klären, was für eine bestimmte Aufgabe die sinnvollste Form der Zusammenarbeit ist. Je nach Präferenzen, Hintergrund, Fähigkeiten und geografischer Verteilung der Teammitglieder variiert die ideale Lösung.
Ich stelle mir vor, dass nicht gerade jeder Mitarbeitende restlos begeistert ist, wenn er sich von «seinem» Büro und seiner gehegten und gepflegten Topfpflanze trennen muss. Muss in der neuen Arbeitswelt jeder mitziehen? Und wie gehe ich mit Mitarbeitenden um, die der kollaborativen Welt wenig abzugewinnen haben?
Bei dieser Frage geht es um die zentralen Themen Identität und Heimat. Diese müssen wir sehr ernst nehmen. Im Wissen, dass persönliche Arbeitsplätze über 50% der Zeit leer stehen, ist die Frage, wie wir die Fläche optimaler nutzen könnten, sowohl aus ökonomischen wie auch ökologischen Gesichtspunkten wichtig und berechtigt. Trotz dieser Erkenntnis gibt es aber in jeder Organisation nach wie vor Rollen, bei denen ein fixer Arbeitsplatz durchaus Sinn macht. Die Kunst liegt nun darin, gemeinsam mit allen Involvierten zu klären, wer welche Rahmenbedingungen braucht, um seine Aufgaben erfolgreich zu lösen.
Für viele mag es auf den ersten Blick als Nachteil erscheinen, keinen persönlichen Arbeitsplatz mehr zu haben. Wenn man aber etwas weiterdenkt und sieht, dass man dank der Aufgabe des fixen Arbeitsplatzes plötzlich eine Vielzahl von Zonen zur Auswahl hat und den Tag viel autonomer gestalten kann, so fällt die Bilanz bei den meisten positiv aus. Interessanterweise sind persönliche Arbeitsplätze nämlich auch ein Grund für die «soziale Überwachung» unter Arbeitskollegen; aus Angst vor zynischen Kommentaren sitzen viele die Zeit zwischen 9 und 5 im Büro ab, statt den Tag so zu gestalten, dass sowohl die individuelle Produktivität als auch die Vereinbarkeit maximal ausfallen.
Es geht also schlussendlich auch um einen Wandel der Unternehmenskultur. Brauchen in Zeiten des digitalen Wandels und des smarten Arbeitens entsprechend auch Führungskräfte neue Kompetenzen?
Das lässt sich nicht pauschal sagen – es gibt «alte Fähigkeiten», wie etwa Menschen zu vertrauen oder Kommunikation, die wichtig bleiben bzw. noch wichtiger werden. In meinen Augen fasst «VUCA» die Herausforderungen, mit denen Führungskräfte im digitalen Zeitalter konfrontiert sind, sehr gut zusammen. Etwas vereinfacht gesagt müssen Führungskräfte in der Lage sein, in verschiedenen Modi und Rollen zu funktionieren. Für gewisse Herausforderung machen Hierarchie und klare Prozesse nach wie vor Sinn, für andere sind die Selbstorganisation und Bottom-up Ansätze die beste Organisationsform. Situativ zwischen diesen Modi switchen zu können, ist eine sehr wichtige Fähigkeit.
Was ist dein persönlicher Rat an Unternehmen, die die Einführung von flexiblen Arbeitsmodellen für sich prüfen? Was sind die Erfolgskriterien? Welche Faktoren müssen stimmen, damit die neuen, flexiblen Formen der Zusammenarbeit im und ums Unternehmen funktionieren?
Für mich sind zwei Aspekte zentral. Als erstes die Frage, was man sich von der Flexibilisierung auf der strategischen Ebene erhofft; konkret, wie sie die Organisation dabei unterstützt, mehr Wert für die Kunden zu schaffen und sich gegenüber Mitbewerbern zu differenzieren. Wenn flexible Arbeitsformen als reine «Diversity & Inclusion» Massnahme vorangetrieben werden, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit leider sehr klein.
Zweitens ist die Art und Weise, wie man vorgeht, zentral. Je früher und durchgängiger alle Involvierten eingeladen werden, mitzudiskutieren und -gestalten, desto weniger ist die Organisation mit Widerständen konfrontiert, bzw. die vorhandene Energie, die jede Veränderung begleitet, kann produktiv für das Projekt genutzt werden.
Wir danken dir ganz herzlich für diesen spannenden Austausch.
Barbara Josef ist Co-Founder der 5to9 AG. Ihre grösste Leidenschaft gilt dem Thema Zukunft der Arbeit – insbesondere den Veränderungen auf Individuen und Teams. Unter anderem hat sie 2009 gemeinsam mit Partnern den Home Office Day (heute Work Smart) ins Leben gerufen.